OSA Baden-Württemberg
BW Quadrat Logo
× Die Beispielaufgaben sollten an einem PC bearbeitet werden.

Humangeographie – Wirtschaftsgeographie

Dieses Aufgabengebiet wurde erstellt von Michael Handke.

Abb. 1: Windbruch im Fichtenwald
Quelle: Eigene Aufnahme


Der Orkan Kyrill, der am 18.01.2007 über Nordwestdeutschland hinwegfegte, zählt zu den verheerendsten Winterstürmen der jüngeren Geschichte. Alleine im Bergischen Land und dem Sauerland in Nordrhein-Westfalen entwurzelte er mehr als 25 Millionen Bäume. Binnen einer Nacht lagen 12 Millionen Festmeter (m3) an Holz auf dem Waldboden. Vor dem Sturm wäre dieses Holz noch mit mehr als 800 Millionen Euro bewertet worden. Als Sturmholz jedoch war es einem rapiden Wertverfall ausgesetzt. Durch das plötzliche Überangebot an Rohstoffen brach der regionale Markt für Holz dramatisch ein. Der Preis für Fichtenholz aus dem Sauerland fiel um mehr als 30 Prozent auf unter 50 Euro pro Festmeter, was für die Waldbesitzer*innen einer finanziellen Katastrophe gleichkam. Zusätzlich drohte der Borkenkäfer den Wert des Holzes weiter zu reduzieren. Sturmholz bietet ihm ideale Brutstätten für seine Larven. Im Sommer nach einem Wintersturm wird oft auch gesundes Holz von dem Schädling befallen. Dieses Szenario vor Augen machte sich Panik unter den Waldbesitzer*innen breit. Noch während sie sich gegenseitig im Preis unterboten, um ihr Sturmholz möglichst schnell zu verkaufen und aus dem Wald abtransportieren zu lassen, forderten sie die Regierung des Landes NRW auf, umfangreiche Katastrophenhilfe bereitzustellen.

Wie können Politik und Marktteilnehmer zusammenwirken, um die forstökonomischen Verluste aus der Sturmkatastrophe zu mildern? In den Antworten auf diese Frage verbinden sich wirtschafts-, sozial- und politisch-geographische Zusammenhänge.


Das Quellen- und Literaturverzeichnis zu dieser Seite finden Sie hier.

Aufgabe 1 von 4

WIRTSCHAFTSGEOGRAPHIE: INDUSTRIELLE STANDORTWAHL FÜR EIN NEUES GROSSSÄGEWERK IM SAUERLAND

Abb. 2: Fichtenholzpreise am Markt für Holz
Quelle: Eigene Darstellung und Erhebung

Die Sägeindustrie im Sauerland ist kleinteilig und mittelständisch geprägt. Ihre gesamte Verarbeitungskapazität betrug zu dieser Zeit nicht mehr als 1,5 Mio. m3 pro Jahr (Ochs et al. 2007). Die regionalen Sägewerke wären somit acht Jahre lang beschäftigt, das Kyrill-Sturmholz zu verarbeiten. In dieser Zeit würde jedoch viel Holz verrotten und ökonomisch wertlos. Es überrascht daher nicht, dass mit der Katastrophe Stimmen laut wurden, die die Ansiedlung eines Großsäge­werks mit Verarbeitungskapazitäten von über 1 Mio. Festmeter pro Jahr im Sauerland forderten. Ein solches Sägewerk könnte die ökonomische Verwundbarkeit der Forstregion reduzieren. Seine zusätzliche Nachfrage würde die Holzpreise steigen lassen. Doch wo hätte man es idealerweise angesiedelt? Bei einer industriellen Standortentscheidung gilt es Transportkosten und geographische Wettbewerbsaspekte zu berücksichtigen!

Sehen Sie sich die beiden Karten (Abb. 2) zum Markt für Holz im Sauerland einmal genau an. In ihnen sind die durchschnittlichen Rohstoffpreise für Fichtenholz jeweils vor sowie nach dem Sturm Kyrill in Form so genannter Isolinien skizziert. Außerdem finden Sie in ihnen Hinweise auf die Standortverteilung von Sägewerken, deren Nachfrage nach Holz den Preis maßgeblich bestimmt. In der oberen der beiden Karten sind schließlich drei alternative Standorte für ein neues Großsägewerk markiert. Beurteilen Sie aus Sicht des Investors, an welchem der drei Standorte sich welche Standortvorteile oder -nachteile ergeben! Lesen Sie dazu die folgenden Aussagen und weisen Sie ihnen einen Platz in der Tabelle zu. Geben Sie dabei auch ein Urteil ab, welcher Standort sich insgesamt als transportkostenoptimal und welcher sich als wettbewerbsoptimal erweist! Beachten Sie dabei, dass Großsägewerke aufgrund ihres „stetigen Hungers“ nach Holz Waldeinzugsgebiete von mehr als 200 km haben. Ihre Absatzmärkte sind indes nicht nur auf Deutschland beschränkt.

Ordnen Sie den einzelnen Standorten die passenden Transportkosten-Argumente und Wettbewerbs-Argumente zu.

Standort 1

Standort 2

Standort 3

Transportkosten-Argumente

Die Höhe der Transportkosten fällt unterschiedlich aus, je nachdem, ob man Baumstämme (Rundholz) oder geschnittenes Holz (Bretter) transportiert. Teuer ist vor allem der Transport sperriger Baumstämme. Insbesondere, wenn man sie mehrmals umladen muss. Der Weitertransport von Brettern zu den Kunden kostet indes nur noch wenig.

Wettbewerbs-Argumente

Nur das bereits bestehende Großsägewerk am Standort 3 stellt einen echten Wettbewerber dar. Beide Sägewerke werden sich mit ihrem großen Bedarf nach Holz um den Zugang zum Rohstoff streiten. Die Knappheit an regionalem Holz könnte sie aber auch zu Kooperation ermutigen.

Dieser Standort liegt strategisch günstig nahe eines großen innerdeutschen Absatzmarktes. Das neue Sägewerk könnte seine Kunden zeitnah beliefern und frühzeitig auch etwas über veränderte Kundenwünsche erfahren.

Dieser Standort ist transportkostengünstig gelegen. In seinem direkten Einzugsgebiet befindet sich viel Wald. Außerdem liegt er relativ nahe am großen Absatzmarkt des Ruhrgebiets. Wäre der Transport von Baumstämmen nicht deutlich teurer als der von gestapelten Brettern, käme er für eine Ansiedlung uneingeschränkt in Frage.

An diesem Standort lassen sich Transportkosten sparen, weil aufgrund des dichten Waldes in der Umgebung die LKWs, die die Baumstämme anliefern, sehr kurze Weg zum Sägewerk haben.

An diesem Standort konkurriert man kaum mit Wettbewerbern um Holzlieferungen aus dem direkten Umfeld (bis 20 km).

An diesem Standort konkurrieren mehrere Sägewerke um Zugang zu Holz. Es könnte schwer werden, die bestehenden persönlichen Beziehungen der Säger zu privaten Waldbesitzer*innen aufzubrechen. Unter den Wettbewerbern finden sich aber eventuell auch Akteur*innen, mit denen man in Zukunft arbeitsteilige Kooperationsbeziehungen eingehen kann.

An diesem Standort ist der Wettbewerb am größten. Es ergeben sich aber mögliche Synergieeffekte, etwa wenn man beabsichtigt, zusammen mit einem direkten Wettbewerber in einen teuren Verladebahnhof für Holzanlieferungen aus Ostdeutschland zu investieren.

Der Transportkosten-Aspekt der Aufgabe lässt sich mithilfe der wirtschaftsgeographischen Standortlehre eindeutig lösen. Baumstämme sind sperrig und schwer. Sie stellen außerdem ein so genanntes Gewichtsverlustmaterial dar. Um eine Tonne Bretter herzustellen, benötigt man mehr als eine Tonne Holz. Das verteuert die Anlieferung des Rohstoffs im Vergleich zum Abtransport des fertigen Produkts. Berücksichtigt man indes, dass Sägespäne, die bei der Holzverarbeitung anfallen, kein Abfall sind, weil man sie an Biomasseheizkraftwerke weiterverkaufen kann, dann ist das Argument des Gewichtsverlustes wieder neutralisiert. In diesem Fall ist die Standortentscheidung nicht mehr eindeutig nur nach Transportkostengesichtspunkten zu treffen. Nun kommen auch Wettbewerbsaspekte zum Tragen.

Die Standortwahl unter Wettbewerbsgesichtspunkten hat strategische Aspekte zu berücksichtigen. So kann es für ein Großsägewerk unter Umständen günstig sein, sich direkt in die Nachbarschaft eines anderen großen Wettbewerbers zu setzen, da man dadurch sicherstellt, dass man dieselben Standortvorteile teilt. Beide Akteure haben im Markt dann dieselben Wettbewerbsvoraussetzungen. Aber auch aus einer aktiven Kooperation mit Wettbewerbern in räumlicher Nähe können sich Standortvorteile ergeben. Sie werden in der Wirtschaftsgeographie unter dem Begriff der Agglomerationsvorteile diskutiert. Bei den Überlegungen zur Ansiedlung eines neuen Großsägewerks im Sauerland handelte es sich um ein fiktives Szenario. Letztendlich wurde das regionale Sturmholz vergleichsweise rasch aufbereitet und abtransportiert. Es war aufgrund seines niedrigen Preises sogar für süddeutsche Sägewerke attraktiv – trotz höherer Transportkosten.